Quelle: Dr. Rolf Merkle, Diplom-Psychologe
Das Zusammenleben mit einem depressiven Partner kann eine große emotionale und körperliche Belastung sein.
Wenn Ihr Partner depressiv ist, dann quält Sie die Frage, wie Sie ihm helfen können und ob Sie sich richtig verhalten. Sie fühlen sich hilflos, manchmal auch ärgerlich, haben Schuldgefühle und sind vielleicht überfordert.
Deshalb möchte ich Ihnen im Folgenden ein paar Hilfestellungen für Sie selbst und den Umgang mit Ihrem depressiven Partner geben.
So kann die Depression Ihres Partners Ihr Leben beeinflussen
- Die depressive Stimmung Ihres Partners wirkt sich auf Dauer auf Ihre Stimmung aus. Sie fühlen sich mit der Zeit ebenfalls immer mehr heruntergezogen und bedrückt.
- Ihr Partner kann bestimmte Pflichten nicht mehr übernehmen und für Sie bedeutet das Mehreinsatz. Andererseits bekommen Sie kaum Anerkennung für Ihre Hilfe vom Erkrankten.
- Viele gemeinsame Aktivitäten fallen weg und Ihnen fehlen Gemeinsamkeiten, die Sie bisher mit Ihrem Partner verbunden haben.
- Ihr Partner verspürt kein Verlangen mehr nach Sex und Austausch von Zärtlichkeit.
- Er zieht sich aus dem gemeinsamen Freundeskreis zurück und Sie möglicherweise mit ihm, sodass Sie sich isoliert und einsam fühlen.
- Er liegt fast nur noch im Bett und Sie sind in der Rolle eines Rund-um-die-Uhr-Pflegers.
- Er droht mit Selbstmord und Sie leben in ständiger Angst um ihn.
- Er ist gereizt und unnahbar und Sie fühlen sich abgelehnt. Sie empfinden Ihren Einsatz als zu wenig von ihm gewürdigt.
- Er trifft kaum Entscheidungen und deshalb fühlen Sie sich mit der Verantwortung alleingelassen.
- Ihr Partner klagt über körperliche Probleme, über Schlafstörungen oder Schmerzen, und Sie sind seiner ständigen Klagen überdrüssig.
- Ihr Partner hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und Sie ärgern sich, wenn er Fehlermacht.
- Sie sind aufgrund der ständigen Klagen Ihres Partners oft gereizt und fahren häufig aus derHaut. Hinterher machen Sie sich Schuldgefühle.
Wie Sie auf die Depression Ihres Partners reagieren könnten
Wenn es Ihnen wie den meisten Angehörigen geht, werden Sie zwischen unterschiedlichen Gefühlen und Verhaltensweisen hin- und herpendeln.
- Sie wollen Ihrem Partner helfen, aber fühlen sich gleichzeitig auch hilflos und sind sich unsicher, wie Sie ihm helfen können und wie Ihre Hilfe vom Kranken aufgenommen wird. Sie wollen, dass er wieder „wie früher“ wird, sehen aber keinen Weg.
- Sie setzen all Ihre Überzeugungskraft ein und wollen Ihren Partner überzeugen, dass er alles zu schwarz sieht und es Hoffnung für ihn gibt.
- Sie wollen helfen, damit Ihr Partner möglichst schnell seine Depressionen überwindet. Deshalb geben Sie ihm Ratschläge, was er noch tun kann, informieren sich umfassend über seine Erkrankung und bieten ihm Unterstützung an.
- Sie wollen Ihren Partner ganz bewusst aus der Depression reißen und machen ihm immer wieder Vorschläge, was sie Schönes miteinander unternehmen könnten. Vielleicht schlagen Sie sogar eine Urlaubsreise vor. Doch Ihr Partner blockt prinzipiell ab oder kann sich im Urlaub auch nicht freuen und Sie sind enttäuscht.
- Sie sind verständnisvoll und nehmen Rücksicht auf ihn – leben schließlich selbst das Leben eines an Depressionen Erkrankten.
- Sie trauen sich nicht, in seiner Gegenwart fröhlich zu sein, oder sind ganz bewusst lustig, um ihn anzustecken und aufzumuntern.
- Sie fühlen sich bedrückt, deprimiert, belastet oder verzweifelt, weil es Ihrem Partner schlecht geht.
- Sie versuchen stark zu sein und keine eigenen Probleme zu haben.
- Sie werden zum Experten in Sachen Depressionen, besuchen Foren, sprechen mit Ärzten und vernachlässigen dabei Ihre Bedürfnisse.
- Sie quälen sich mit Fragen, was Sie Ihrem Partner zumuten können oder sollen, auf welcheAktivitäten Sie bestehen sollen, welche Arbeiten Sie ihm abnehmen müssen, usw.
- Sie haben Schuldgefühle, etwas falsch gemacht zu haben und für die Depression Ihres Partners verantwortlich zu sein.
- Sie sind kraft-, mut- und hilflos, weil keine Besserung eintritt und Sie nicht wissen, wie es weitergehen soll.
- Sie fühlen sich ungerecht behandelt, wenn Ihr Partner gereizt ist.
- Sie werden wütend und aufbrausend, weil bei Ihrem Partner keine Besserung in Sicht ist, und fordern ihn immer energischer auf, er solle sich zusammenreißen.
- Sie sind ärgerlich, weil sich alles nur noch um Ihren Partner dreht.
- Sie fühlen sich ausgenutzt und ratlos, weil Ihr Partner mal Ihre Hilfe fordert, mal zurückweist.
- Sie fühlen sich mit Ihren Sorgen nicht verstanden, müssen immer stark sein, während ihm die Rolle des Hilfsbedürftigen zufällt.
- Sie fühlen sich in Frage gestellt und werden wütend, weil Ihr Partner Ihre gut gemeinten Ratschläge nicht annimmt und sich nichts bessert. Als Folge davon lassen Sie in Ihrem Einsatz nach. Dann machen Sie sich Schuldgefühle, ihn hängen zu lassen.
- Sie fühlen sich zu kurz gekommen, weil Ihre Wünsche in der Partnerschaft nicht mehrwichtig sind.
- Sie haben Angst, wie in der Zukunft alles weitergehen soll.
- Sie sind enttäuscht, dass das jetzt alles Glück gewesen sein soll, was Sie in der Partnerschaft bekommen können.
- Sie zweifeln an Ihrer Liebe und der Partnerschaft.
Haben Sie sich in einigen der Gefühls- und Reaktionsmuster wiedererkannt? Verurteilen Sie sich manchmal für derartige Gedankengänge und Gefühle?All diese Gedanken und Gefühle sind verständlich und normal. Wenn Sie einen depressionskranken Partner über längere Zeit begleiten, dann zehrt dies auch an Ihren Kräften.Sie sind kein ausgebildeter Therapeut, sondern ein Mensch mit eigenen Bedürfnissen. Auch wenn Sie Ihren Partner lieben, dürfen Sie enttäuscht oder ärgerlich auf ihn sein.
Was Sie für sich tun können, wenn Ihr Partner unter Depressionen leidet
Damit Sie die Kraft und Geduld Ihrem Partner gegenüber auch weiterhin aufbringen können, ist es wichtig, dass Sie Ihre Batterien immer wieder auffüllen und gut für sich selbst sorgen. Was Sie für sich z.B. tun können:
- Nehmen Sie sich immer wieder eine Auszeit, in der Sie sich mit fröhlichen unbeschwerten Menschen umgeben. So können Sie auch wieder Ihre Lebensfreude spüren.
- Wenn Ihr Partner nicht gerade schwerst depressiv ist und mit Selbsttötung droht, können Sie ihn ab und zu alleine lassen. Generell könnte auch eine Freundin oder ein Familienangehöriger mal „den Dienst“ bei Ihrem Partner übernehmen.
- Delegieren Sie nach Möglichkeit die Arbeiten, die Ihr Partner im Augenblick nicht übernehmen kann. Wer kann sich um die Wäsche oder den Einkauf kümmern? Kann sich eine Mutter eines Freundes Ihres Kindes um Ihr Kind kümmern?
- Sorgen Sie für einen Ausgleich, indem Sie sich sportlich/körperlich betätigen oder einem Hobby nachgehen. Sie benötigen die Erfahrung, etwas bewegen zu können und Erfolg zu haben.
- Lassen Sie sich regelmäßig eine Massage geben – also etwas, wobei Sie passiv bleiben und sich verwöhnen lassen können.
- Pflegen Sie Ihren Freundeskreis und ziehen Sie sich nicht, auch wenn es Ihr Partner im Augenblick macht, von Ihren Freunden zurück.
- Nutzen Sie für sich ein Entspannungsverfahren. Schon alleine das Zusammensein mit einem depressiven und klagenden Menschen wird in Ihnen mit der Zeit Anspannung erzeugen.
- Vielleicht ist es hilfreich für Sie, sich mit den Partnern anderer Betroffener aus einer Selbsthilfegruppe zu treffen und sich auszutauschen. Wenn Sie im Freundeskreis jemanden haben, dem Sie sich anvertrauen können, dann tun Sie das. Mit anderen darüber sprechen, entlastet und tut gut.
- Wenn Sie dazu neigen, zu sehr Anteil zu nehmen, sich verantwortlich fühlen und sich zu sehr zu verausgaben, sollten Sie auch an eine Psychotherapie oder Beratung für sich selbst denken.
Wie Sie Ihrem depressiven Partner helfen können
Wenn Ihr Partner unter Depressionen leidet, dann haben Sie vermutlich schon vieles ausprobiert, um ihm zu helfen – gut zureden, drohen, alleine etwas unternehmen, eine Belohnung versprechen, an seine Willenskraft appellieren, usw.
Vielleicht sind Sie unsicher, was gut bzw. schlecht für ihn ist. Hier sind einige Strategien, mit denen Sie Ihren Partner unterstützen können:
- Informieren Sie sich über die Erkrankung Depressionen. Je mehr Sie über Depressionen wissen, desto eher können Sie die Symptome und Verhaltensweisen Ihres Partner einordnen und ihn unterstützen.
- Nehmen Sie Ihrem Partner nicht alles ab, aber überfordern Sie ihn auch nicht. Es ist wichtig für ihn, dass er die Erfahrung macht, selbst noch etwas geregelt zu bekommen. Er braucht Erfolgserlebnisse. Zwingen Sie ihn jedoch nicht, etwas zu tun, das er auf keinen Fall tun möchte.
- Lenken Sie den Blick Ihres Partner darauf, dass er eine Aufgabe bewältigt hat, und loben Sie ihn dafür – auch wenn er jedes Mal Ihr Lob entwertet, indem er sagt, das sei doch nichts, das könne jeder und überhaupt sei ihm das früher viel besser von der Hand gegangen.
- Machen Sie ihm immer wieder Mut, dass er seine Depression eines Tages überwinden und wieder völlig gesund werden wird.
- Signalisieren Sie ihm immer wieder, dass Sie ihn auf dem Weg durch seine Depression unterstützen und begleiten werden. Auch wenn Ihr Partner vielleicht äußert, dass ihm nicht zu helfen ist, es tut ihm gut, zu wissen, dass er auf Sie zählen kann, in Ihnen einen Halt hat und Sie für ihn da sind.
- So wie man ein Auto, dessen Batterie schwach ist, anschieben muss, um es wieder zum Laufen zu bringen, so muss man auch den Depressiven, dessen Antriebskraft schwach ist, immer wieder anschieben.
D.h.: Motivieren Sie Ihren Partner immer wieder, sich in Form von Spaziergängen oder Walken zu betätigen. Körperliche Betätigung hilft ganz enorm, Depressionen zu lindern und überwinden.
Da der eigene Antrieb, etwas zu unternehmen, gelähmt ist und stark Depressive sogar das Zähneputzen als einen Kraftakt empfinden, müssen Sie mit häufiger Ablehnung rechnen.
So könnten Sie den Erkrankten zu mehr Bewegung motivieren: Ich habe überlegt, wie ich dir helfen kann. Vielleicht täte es dir gut, wenn du dich mehr bewegen und etwas unternehmen würdest. Ich weiß, dass du keine Kraft hast und keinen Sinn darin siehst. Ich würde die ersten Male mit dir kommen und dich begleiten. Ich bin nicht böse, wenn du dich dazu noch nicht entschließen kannst. Ich würde mich jedoch freuen, wenn wir es zusammen versuchen würden. - Verlangen Sie von Ihrem Partner keine großen Entscheidungen, denn Ihr Partner sieht im Augenblick alles nur aus einem depressiven Blickwinkel und es fällt ihm krankheitsbedingt schwer, Entscheidungen zu treffen. Ja, er hat vermutlich sogar Angst, Entscheidungen zu treffen.
- Vermeiden Sie Beschimpfungen oder Appelle wie „Reis dich zusammen“ „Lass dich nicht so gehen“ oder „Stell dich nicht so an“.
- Der Depressive macht sich selbst solche Vorwürfe. Eine Bestätigung seiner Selbstvorwürfe von außen trifft den Kranken besonders und lässt ihn noch depressiver werden.
Gutgemeinte Ratschläge können Depressive oft weder annehmen noch befolgen. - Körperkontakt in Form von Streicheln oder Händehalten werden in der Regel von Depressiven als angenehm erlebt.
- Feiern und gesellige Treffen können den Kranken belasten. Der Rat „Du musst unter Leute gehen“ kann falsch und richtig sein, je nachdem in welcher seelischen Verfassung sich der Depressive befindet.
- Es gibt Phasen, in denen sich der Depressive noch schlechter fühlen würde, wenn er unter Menschen ist. Vergnügungsparks, lustige Kinofilme oder heitere Menschen verstärken in der Regel die seelischen Qualen des Depressiven, weil er die Fähigkeit verloren hat, sich zu freuen und ihm dies in solchen Situationen schmerzlich bewusst wird.
- Denken Sie bei allem, was Sie tun und was Ihr depressiver Partner tut, daran: eine Depression ist eine seelische Behinderung. Da diese Behinderung mit den Augen nur schwer zu erkennen ist, können Sie oft nur raten, was in Ihrem Partner vorgeht und wie es um ihn steht.
- Raten Sie Ihrem Partner dringend zu einer Psychotherapie bei einem psychologischen Psychotherapeuten oder einem Psychiater, wenn er sich immer mehr zurückzieht und Selbstmordgedanken hat.
- Wenn nötig, vereinbaren Sie für Ihren Partner einen Termin bei einem Psychotherapeuten und begleiten ihn dorthin. Dies setzt allerdings voraus, dass Ihr Partner grundsätzlich bereit ist, sich helfen zu lassen.